Stabilisatoren im Dornröschenschlaf

 

Stabilisatoren im Dornröschenschlaf

Von Gerhard Gabriel im Dezember 2021

Seit 1972, dem Jahr der Olympischen Spiele in München, liegt die Weiterentwicklung der Stabilisatoren in einem Dornröschenschlaf. Bis auf einige unbeholfene Versuche irgendjemanden zu beeindrucken wie zum Beispiel waagerecht angeordnete Konterstabilisatoren und den dadurch notwendig gewordenen  Stabivorbau, auch Extender genannt, hat sich in der Technik der Stabilisatoren bis zum heutigen Tage  recht wenig Ernstzunehmendes ereignet. Versuche, Stabilisatoren aus mehreren dünnen Karbonstäben zusammenzusetzen oder sie vorübergehend extrem dick zu machen, erwiesen sich durchwegs als laienhaftes Herumprobieren ohne jeden praktischen Nutzeffekt mit mehr Nachteilen als Vorteilen. Auch Versuche, Stabilisatoren schwerer und schwerer zu machen, um ihre Massenträgheit zu erhöhen, bewiesen nur mangelnde Kenntnis der technischen und physikalischen Zusammenhänge.

Deshalb ist es dringend Zeit geworden, diesen Dornröschenschlaf zu beenden und  ernsthaft die Weiterentwicklung der Stabilisatoren in die Hand zu nehmen. Das dazu notwendige Wissen steht uns in der physikalischen und technischen Fachliteratur reichlich zur Verfügung.

Zunächst gilt es, die richtigen Fragen zu stellen.

1) Wozu brauchen wir Stabilisatoren?

a) Sie sollen uns helfen, das Visier für eine ausreichende Zeitdauer ruhig im Ziel zu halten, damit wir den Schuss möglichst stressfrei und unverkrampft ausführen können.

b) Es ist ein Irrtum, zu glauben, sie hätten die Fähigkeit,  die Streuung zu verringern, indem sie den Bogen nach dem Abschuss durch erhöhte Massenträgheit besonders ruhig halten. Ein böser Irrtum, denn die gute Gruppierung der Pfeile hängt ausschließlich von der Wiederholgenauigkeit der Bahnkurve der Sehne nach dem Lösen ab, also von der Qualität des Lösevorgangs selbst.

c) Schwingungen des Bogens während des Zielvorgangs werden von Seitenwindstößen und vorwiegend vom Muskeltremor des Schützen verursacht. Letzterer tritt naturgemäß umso eher auf, je näher die Bogenzugkraft, zusammen mit dem Gesamtgewicht des Bogens und der Zeitdauer der maximal möglichen Kraftentfaltung der beteiligten Muskelgruppen des Schützen kommt.

d) Deshalb müssen gute Stabilisatoren das Visier so schnell wie möglich nach dem Heben des Bogen im Ziel ruhig stellen, damit auch der Schuss so schnell wie möglich abgegeben werden kann und wertvolle Kraftreserven nicht sinnlos durch unnötig langes Halten verbraucht werden müssen. Die anzustrebende Dauer eines Schusses beträgt 5 bis 6 Sekunden vom Heben des Bogens an bis zum Abschuss, was mit geeigneten Stabilisatoren ohne weiteres verwirklicht werden kann.
Haltezeiten von 8 Sekunden und mehr sind sträflicher Leichtsinn, und die Strafe lautet Erschöpfung und schlechter werdende Schüsse vor Ende des Wettbewerbs.

2) Was dürfen Stabilisatoren nicht?

a) Sie dürfen nicht zu schwer sein, weil sie sonst das Feingefühle des Nerv-Muskel-Systems unempfindlich, sprich taub, für das Erfühlen von Unterschieden zwischen guter und weniger guter Koordination von Bewegungen und Kräften machen und so auch bei sehr guten Schützen zu unerklärlichen Fehlschüssen führen können.

Außerdem tragen zu schwere Stabilisatoren zu erhöhtem Kräfteverbrauch und vorzeitiger Erschöpfung bei.

b) Sie dürfen nicht zu dick sein, weil sie sonst einen zu hohen Seitenwindwiderstand erzeugen und außerdem den Bogen in einer völlig falschen Frequenz zum Schwingen anregen, wodurch sie Schwingungen nicht nur nicht verringern, sondern sogar noch verstärken können. Dasselbe gilt übrigens auch für die ausgesprochen dumme Idee, Stabilisatoren aus mehreren dünnen Karbonstäben zusammensetzen zu können. Auch hier wächst der Windwiderstand durch Wirbelbildung erheblich an und drückt den Bogen kräftig zur Seite. Ihre Schwingungsneigung ist hochgradig ungünstig, wie umfangreiche Tests und Messungen eindeutig gezeigt haben.

c) Sie dürfen den Gesamtschwerpunkt des Bogens nicht zu weit nach vorn verlagern, das heißt, den Bogen nicht zu kopflastig machen. Zum Beispiel ist das der Fall beim Einsatz von sogenannten Extendern, einer absolut unnötigen ja sogar schädlichen Maßnahme, deren Sinn bisher noch niemand erklären konnte. Neben enormen Nachteilen im Schwingungsverhalten infolge des Auftretens von mehreren unterschiedlichen Schwingungsfrequenzen, die das System zusätzlich unruhig machen, verbrauchen sie auch viel Muskelkraft beim Halten und Abfangen des Bogens, der mit der Wucht eines Fallbeils vornüber schlägt.
Einige international erfolgreiche Bogenschützen, die immer noch mit Extender am Bogen antreten, wären sicherlich verwundert, um wieviel leichter und erfolgreicher sie ohne dieses Handicap schießen könnten.

Wichtig ist, dass der Gesamtschwerpunkt des voll ausgerüsteten Bogens etwa 1 cm unter dem tiefsten Punkt der Griffmulde und etwa 1 bis 2 cm vor der Vorderkante des Griffteils liegen sollte. Siehe nachstehende Abbildung.
Der Bogen muss unmittelbar nach dem Abschuss eine Kippbewegung nach vorne beschreiben, denn die Kipprichtung gibt Auskunft über die Qualität des Schussablaufs. Fällt der Bogen gerade nach vorn, war der Schuss gut, fällt er aber seitlich, war der Schuss fehlerhaft.

 

3) Was sollten Stabilisatoren können?

a) Sie müssen verhindern helfen, dass die Kraftreserven des Bogenschützen vorzeitig erschöpft werden, sondern sie so weit wie möglich schonen, um ihm bis zum letzten Pfeil ein gelöstes und unverkrampftes Schießen zu ermöglichen.

Die Herausforderung bei der Auslegung eines echten Stabilisators besteht darin, die Eigenschwingungsfrequenzen des voll ausgerüsteten Bogens und des Schwingungserregers so aufeinander abzustimmen, dass sich die beiden Schwingungsformen überlagern und gegenseitig auslöschen.

 

4) Was können gute Stabilisatoren außerdem?

a) Sie können in vielen anderen Konfigurationen am Bogen montiert werden als bisher üblich. Wichtig ist nur, dass sie die vorstehend beschriebenen Eigenschaften und Fähigkeiten aufweisen. Beispielsweise können sie sogar zusätzlich als Bogenständer eingesetzt werde.

b) Sinnvolle Konfiguration der Stabilisatoren

Bei der Wahl der Konfiguration sind der Fantasie keine echten Grenzen gesetzt. Wichtig ist nur, dass der Gesamtschwerpunkt des Bogens wie weiter oben beschrieben liegt.

Hier sind nur einige von vielen Möglichkeiten dargestellt